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Scham - Ein Gefühl, das da sein darf (aber nicht muss)

  • Autorenbild: Dr. Anja Blum
    Dr. Anja Blum
  • 8. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Über den Umgang mit Scham im Therapieprozess


Scham als stiller Begleiter


Scham ist ein Gefühl, das jeder kennt, aber über das kaum jemand offen spricht. Auch im psychotherapeutischen Kontext zeigt sich Scham oft zwischen den Zeilen: Wenn Menschen zögern, sich Hilfe zu suchen, wenn bestimmte Themen ausgeklammert oder Symptome heruntergespielt werden.


Vielleicht kennen Sie das auch von sich:


  • Zweifel daran, "gut genug" zu sein

  • Angst vor Ablehnung oder negativer Bewertung

  • Das Gefühl, Erwartungen oder gesellschaftliche Normen nicht zu erfüllen

  • Eine Hemmung mit anderen – auch in der Therapie – über bestimmte Gedanken oder Erfahrungen zu sprechen, die Sie für „nicht normal“ halten


Das geht vielen Menschen so. Denn Scham ist ein ganz normales Gefühl, das uns alle in unterschiedlicher Form betrifft.


 

Was Scham im Therapieprozess bewirken kann


Es kommt immer wieder vor, dass Klient:innen im Laufe der Therapie von einer intensiven Scham im Zusammenhang mit ihren Symptomen berichten. Noch immer liegt in der Gesellschaft eine Stigmatisierung von psychischen Störungen und Psychotherapie vor und viele Menschen glauben, dass sie ihre Probleme ohne professionelle Unterstützung bewältigen müssen. Dies kann nicht nur dazu führen, dass sie lange zögern bis sie sich Angehörigen oder Freunden anvertrauen, sondern auch dazu beitragen, den ersten Therapiekontakt lange hinauszuzögern – aus Angst, für schwach gehalten zu werden oder "komische“ Gedanken offenzulegen.


Scham kann also den ersten Schritt in die Therapie verzögern oder dazu führen, dass im Therapiegespräch wichtige Informationen ausgelassen, Beschwerden verharmlost oder Erleben beschönigt werden. Dies geschieht in der Regel aus einem tiefen Bedürfnis heraus, sich zu schützen - erschwert aber möglicherweise die Diagnosestellung oder einen zielgerichteten Therapieprozess. So kann Scham zur Barriere werden, wenn sie nicht erkannt, benannt oder verstanden wird.


 

Wofür Scham wichtig ist


Scham ist keine "Störung", sondern eine ganz normale Emotion. Genauso wie Freude, Wut oder Traurigkeit ist sie hilfreich und wichtig für eine gesunde Entwicklung.


Scham ist ein Beziehungsgefühl. Es entsteht, wenn wir uns im Blick anderer (oder in unserem eigenen inneren Spiegel) als unangemessen, falsch oder ungenügend erleben. Im Kontext unserer sozialen Beziehungen hat Scham dabei eine wichtige Aufgabe: Sie wirkt als Schutzmechanismus für soziale Bindung. Sie hilft uns, uns an Regeln und soziale Normen anzupassen und Rücksicht auf andere zu nehmen.


Zur Scham gehört der Wunsch nach Integrität, Zugehörigkeit, Verbindung und Respekt, aber auch die Angst vor Ablehnung und dem sozialen Ausschluss. Scham ist somit eng verknüpft mit dem Selbstbild einer Person und kann langfristig entsprechend tiefgreifende Auswirkungen auf das eigene Selbstwertgefühl haben. Aus dem Gedanken: „Ich habe einen Fehler gemacht“ wird dann leicht „Ich bin ein Fehler“.


Aus Perspektive der Systemischen Therapie kann Scham ein Hinweis auf ein verletztes Bindungsmotiv oder (verdeckte) Loyalitäten gegenüber einem sozialen System wie z.B. dem Familiensystem sein. In manchen Familien oder Gemeinschaften kann sich Scham sogar zu einem festen Bestandteil der Kommunikations- oder Beziehungsmuster entwickeln und z.B. durch Tabus („Über so etwas sprechen wir nicht!“) über Generationen weitergegeben werden. In solchen Kontexten wird Scham zu einem Teil des Beziehungssystems – oft unausgesprochen, aber dadurch nicht weniger wirksam.


 


Wie sich Scham zeigt


Scham ist ein komplexes Gefühl, das auf unterschiedlichen Ebenen auftreten kann:


  • Körperlich: Zittern, Schwitzen, Erröten, gesenkter Blick, leise Stimme, Erstarren

  • Emotional: Gefühle von Beschämung, Minderwertigkeit und Schuld

  • Kognitiv: Erhöhte Selbstbeobachtung, intensive Selbstkritik

  • Sozial: Rückzug oder Angriff, Vermeidung bestimmter Gespräche oder Kontakte


Die Intensität reicht von einem leichten peinlich berührt sein bis hin zu einem starken und schmerzhaften Wunsch, "im Erdboden zu versinken". Dabei ist wichtig: Schamerleben ist immer kontextabhängig. Familiäre, kulturelle oder gesellschaftliche Normen prägen, wofür wir uns schämen und ob wir darüber sprechen können.


 


Wie Betroffene mit ihrer Scham umgehen können


Wenn Sie Scham empfinden, zeigt das: Ihre Beziehungen sind Ihnen wichtig. Sie achten auf die Wirkung Ihres Verhaltens auf andere. Statt dieses Gefühl zu unterdrücken oder zu ignorieren, kann es hilfreich sein, es als Hinweis anzunehmen: Was ist mir wichtig? Wovor möchte ich mich schützen? Was darf hier gesehen werden? Und seien Sie sich bewusst: Psychotherapeut:innen kennen solche Gefühle sehr gut. Was Ihnen vielleicht "verrückt" oder "falsch" vorkommt, ist oft ein bekannter Ausdruck innerer Konflikte.


Geben Sie sich Zeit: Nicht alles muss sofort gesagt werden. Vertrauen entsteht nach und nach. Wenn Sie sich bereit fühlen, dann können Sie Ihre Scham benennen: „Mir fällt es schwer, darüber zu sprechen, aber...". Sie können sich auch vorbereiten und Gedanken oder Themen aufschreiben, die Ihnen wichtig sind. Das kann helfen, sie im Gespräch leichter anzusprechen.


 


Was Psychotherapeut:innen tun können


Wenn wir als Behandelnde auf Scham treffen, ist es unsere Aufgabe, ihr mit Respekt, Einfühlungsvermögen und Neugierde zu begegnen. Gemeinsam mit Betroffenen können wir ein tieferes Verständnis dafür entwickeln, in welchem System das Schamgefühl Sinn ergibt, wofür es bislang wichtig war und welche Funktion es heute noch erfüllt. So wird ein konstruktiver Umgang möglich.


Hilfreiche Schritte können dabei sein:


  • Normalisieren: Viele Gedanken, Gefühle oder Symptome, die Betroffenen Angst machen, sind weiter verbreitet als gedacht

  • Verständnis fördern: Ein besseres Verständnis für Symptome und emotionale Prozesse kann entlasten

  • Reframing: Scham Ausdruck von Zugehörigkeit und Verantwortungsbewusstsein erkennen und würdigen

  • Innere Anteile erkunden: Scham kann als ein Teil des inneren Erlebens verstanden werden, der auf etwas Wichtiges aufmerksam macht. Wovor möchte er schützen?

  • Selbstmitgefühl und Empathie stärken: Eine wohlwollendere Haltung sich selbst gegenüber kann Entlastung bieten


 

Fazit


Scham ist ein normales Gefühl. Es zeigt uns, dass uns etwas wichtig ist: unsere Beziehungen, unser Selbstbild, unser Platz im sozialen Gefüge.


Chronische und intensive Scham kann ein Teil psychischer Belastungen sein – etwa bei Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Essstörungen, Traumafolgestörungen oder selbstverletzendem Verhalten. Dann lohnt es sich gemeinsam genauer hinzuschauen.


Scham muss nicht verschwinden. Sie darf da sein. Aber sie darf auch gehört, verstanden und neu eingeordnet werden um sich zu verändern.


 

Vielleicht haben Sie sich in einigen Punkten wiedergefunden. Dann möchte ich Sie ermutigen, dass Sie damit nicht allein bleiben müssen. In meiner Praxis in Frankfurt oder in einem Online-Erstgespräch können wir gemeinsam erkunden, was Ihre Scham Ihnen sagen möchte und wie ein neuer, freundlicherer Blick auf sich selbst möglich wird.


 
 
 

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